Ute Dahmen
Vorschau
Ich freue mich mega auf meine neue Biografie, die Anfang Dezember erscheinen wird:
ARLBERG STORY. Erich Mair. Biografie einer Skilegende.
Es ist die wunderbare Lebensgeschichte eines Herzensmenschen,
der seinen Traum verwirklicht hat.
Der Zeitreisende
Erinnerung an Raymond E. Waydelich
„Raymond a rejoint le paradis“ – „Raymond ist ins Paradies gekommen.“ Die Nachricht von einem Freund am Freitagabend war von trauriger Endgültigkeit: Der Künstler Raymond E. Waydelich ist tot. Er starb am 9. August im Alter von 85 Jahren. Der Elsässer war ein Meister darin, der Fantasie Flügel wachsen zu lassen. Mit Leichtigkeit, Eleganz und sehr viel Humor flog er, wie die Figuren in seinen Bildern, über Kontinente und durch Jahrhunderte. Er war ein Zeitreisender, ein Archäologe der Zukunft, wie er sich selbst nannte. Dabei war er stets fest verwurzelt in seiner Heimat. Mit Raymond E. Waydelich geht ein Stück Elsass verloren.
Geboren wurde Raymond am 14. September 1938 in Straßburg-Neudorf. Er absolvierte eine Lehre als Holzbildhauer in der väterlichen Werkstatt und studierte anschließend an den Kunstschulen in Straßburg und Paris. Von 1959 bis 1962 war er Armeefotograf in Algerien. Der Besuch von Ausgrabungsstätten weckte sein Interesse für die Archäologie. Die Idee, Gebrauchsgegenstände zu archivieren und damit für künftige Generationen zu bewahren, reifte. 1978 präsentierte Waydelich auf der Biennale in Venedig seinen „Homme de Frédehof“, ein Environment, wie es in ferner Zukunft von Archäologen vorgefunden werden könnte. In der Tiefgarage des Augustinermuseums in Freiburg versenkte er 1984 zwei Autos, auf der Place du Château in Straßburg 1995 eine Betonkammer voller Botschaften und Erinnerungsstücke, die erst 3780 n. Chr. geöffnet werden darf. In der Robertsau steht in einem Schrebergarten ein Gartenhaus von Waydelich aus Bronze, unter dem Fässer mit Samen und Pflänzlingen lagern, um von Botanikern künftiger Jahrhunderte wiederentdeckt zu werden.
Die Vorstellung, wie sich Menschen der Zukunft an uns erinnern werden, faszinierte ihn ebenso wie unsere Sicht auf die Vergangenheit. Seit Anfang der 1970er Jahre schuf Raymond Objektkästen voller Poesie, „Mémorisations“, in denen er alte Fotografien, Zeitungsausschnitte und Fundstücke arrangierte. Jede „Kischt“, wie er sagte, erzählt eine eigene Geschichte. Die schönste Geschichte aber schrieb das Leben selbst. 1978 entdeckte Raymond auf einem Straßburger Flohmarkt das Tagebuch der längst verstorbenen Schneiderin Lydia Jacob, dem sie ihren Traum, „eine große Modeschöpferin zu sein“, anvertraut hatte. „Ich helfe dir und du hilfst mir“, versprach Waydelich und signierte seine Arbeiten von Stund an nicht nur mit seinem, sondern auch ihrem Namen. Neben seiner argentinischen Ehefrau Rosita wurde Lydia zur Muse seines Lebens. Und er legte ihr eine Welt zu Füßen: In seinen Werken reiste sie in ferne Länder, erlebte Abenteuer, durfte sich mit Verwandten schmücken, die aufregenden Professionen nachgingen. Die kleine Schneiderin wurde, wie ihr kongenialer Partner, berühmt.
Dem aufmerksamen Beobachter und guten Zuhörer Raymond entging nichts. Alles konnte Inspiration sein und seinen Forschergeist beflügeln. Die Mythologie Griechenlands hielt in seinem Werk ebenso Einzug wie afrikanisches Kunsthandwerk, Kult-Western aus Hollywood, Johanna Spyris „Heidi“-Roman oder „Schmierwurst“ aus dem Schwarzwald. Und natürlich das Elsass: immer wieder Störche und der legendäre Bugatti aus Molsheim. In seinen Radierungen, die bisweilen wie uralte Höhlenmalereien anmuten, schweben Tiere, Menschen und Fahrzeuge scheinbar schwerelos und stets gleichberechtigt über die Bildfläche. Das war sein Weltbild: die Liebe zur Natur, der Glaube an die Menschen und der Respekt vor ihren Leistungen. Seine unverstellte Zugewandtheit, das ehrliche Interesse am Gegenüber, gepaart mit unwiderstehlichem Humor, spitzbübischem Charme und kindlicher Direktheit machten jede Begegnung mit Raymond E. Waydelich einzigartig. Und, nicht zu vergessen, sein elsässischer Dialekt, gottverdammi!
Waydelich liebte und kannte das Elsass wie seine Westentasche – und alle kennen ihn. Wo immer Raymond auftauchte, wurde er als Freund empfangen. Internationale Ausstellungen, Werke in Sammlungen und im öffentlichen Raum belegen seine Wertschätzung. In Strömen kamen die Straßburger 2017 nach Offenburg, als die Städtische Galerie und der Kunstverein Waydelichs Œuvre in einer großen Retrospektive feierten. Zum Dank schenkte er der Stadt Offenburg 69 grafische Arbeiten. In einem Werkbuch, das begleitend erschien, antwortete Raymond auf die Frage, wo er am liebsten leben möchte: „Da, wo ich bin – im Elsass und in Baden.“ Er war ein Brückenbauer, ein begnadeter Netzwerker, ein treuer Freund. Auf seinem Anwesen in Hindisheim gibt es eine Kapelle, in der sich Heiligenfiguren und Tierskulpturen tummeln. Wir zünden eine Kerze an für dich, Raymond! Alles Gute für deine große Zeitreise! Wir treffen uns im Jahr 3780 in Straßburg, wenn deine „Gruft der Zukunft“ geöffnet werden darf. Bis dahin, ä großer Kuss!
1 oben links
Sah aus wie ein Filmstar: Waydelich mit seinem Raben „Raven“ Anfang der 1980er Jahre.
2 unten links
Mit Raymond bei der Ausstellung „L’Industrie Magnifique“ 2018 in Straßburg.
3 oben rechts
"Jedes Huhn hat einen Namen": Mit meinen Töchtern Inga, Lea und Becca in den 1990er Jahren in Hindisheim.
4 unten rechts
Mit meinen Töchtern Inga und Lea 2023 bei der Vernissage von Offenburg OPEN im Kesselhaus.